Karin Estermann | Mo, 23. Juni 2025 | Führung
... singt Marc Sway seit 2020. Wie wahr. Das Glas ist selten ganz voll oder ganz leer. Meistens ist es einfach halbvoll. Und es ist klug, sowohl die halbvolle als auch die halbleere Hälfte zu sehen. Bedeutsam ist jedoch, worauf wir nach der Wahrnehmung fokussieren. Wer das Gute im Hier und Jetzt sieht, wertschätzt und über die nächsten pragmatischen Schritte nachdenkt, richtet seinen Blick auf Lösungen – im Gegensatz zu denen, die sich sorgen und sich als Opfer sehen. Unser Fokus bestimmt, ob unsere Umstände schlimm bleiben oder besser werden.
In Zeiten des Wandels brauchen wir Menschen, die fähig sind, sich unabhängig aller Umstände immer wieder darauf zu fokussieren, was da ist (Ressourcen), was unsere Aufgabe ist (Mission/Vision) und welche Möglichkeiten wir haben (Optionen), um den aktuellen Umständen gerecht zu werden. Folgende vier Kompetenzen sind entscheidend:
Kompetenz 1: Mut zur Wahrheit
Kompetenz 2: Fokus wählen
Kompetenz 3: Entscheiden
Kompetenz 4: Tun
Wirksame Führungskräfte beherrschen diese vier Kompetenzen. Und sie wissen genau, was darunter zu verstehen ist und was nicht.
Schritt 1: Mut zur Wahrheit - ganz ohne Toxikum
Genau so tragisch wie toxisch negative Mitarbeitende sind toxisch positive Führungskräfte. Mit einem einseitigen Fokus auf Chancen und grossartigem Abwinken von Einwänden und Bedenken wurden schon viele gute Fachkräfte vergrault und zahlreiche Firmen in Grund und Boden gewirtschaftet. Menschen hingegen, die stetig auf den Mangel fokussieren, immer zuerst alle möglichen und unmöglichen bzw. unwahrscheinlichen Folgen ins Feld führen und in jeder Suppe ein Haar finden, sorgen für schlechte Stimmung und nerven ihre Kollegen. Fakten sind Fakten und wir tun besser daran, diese möglichst neutral wahrzunehmen und zu akzeptieren.
Schritt 2: Fokus wählen
Es dehnt sich aus, worauf wir fokussieren. Das ist ein Naturgesetz. Dazu ein richtig banales Beispiel: Stell dir vor, du entdeckst am Abend beim Zähneputzen einen Pickel auf deiner Nase. Entweder ist dir der Pickel peinlich und du sorgst dich um dein Aussehen, willst ihn sofort weg haben und drückst daran herum. Oder du fokussierst auf deine schönen Gesichtszüge, die glänzenden Augen oder das sympathische Lächeln und gehst zufrieden ins Bett. Die Chance ist sehr gross, dass wir mit der zweiten Variante am anderen Morgen besser aussehen.
Wer den Fokus bewusst aufs Positive legt, ist nicht nur selbst besser drauf, sondern verbreitet auch gute Stimmung. Manchmal müssen wir das Positive am Negativen richtiggehend suchen, was sich jedoch immer lohnt. Wenn ein Kunde absagt, kann ich mich über den Ertragsausfall ärgern oder über die Entlastung bzw. über die unerwartet freie Zeit freuen. Wann geht es mir besser? Und die Freude über die unerwartet freie Zeit hält mich im Wiederholungsfall nicht davon ab, mit dem Kunden das Gespräch zu suchen und Lösungen zu finden.
Und hier noch die Herausforderung für die Fortgeschrittenen: Wie lange können wir unsere Energie hochhalten und den Fokus richtig legen, wenn jemand stur auf den Mangel fokussiert oder die Dinge unverbesserlich schönfärbt? Und ab wann sehen wir in diesem Umstand das Glas auch nur noch halb leer, ärgern uns über diese Person, kämpfen dagegen an und finden uns in einer nutzlosen Diskussion wieder? Auch in solchen Situationen ist es möglich, gelassen zu bleiben, und – je nach Situation – entweder eine klare Entscheidung einzufordern und das einseitig negative bzw. positive Gegenüber in die Verantwortung zu nehmen oder seine Aussagen einfach stehen zu lassen.
Wie lange bleibe ich im Flow, wenn andere sich sorgen, jammern oder vor Begeistung überschlagen?
Schritt 3: Entscheiden
Wenn irgendwas nicht sauber läuft, haben wir immer drei Möglichkeiten: Take it, change it oder leave it. Als Privatperson lebt es sich am entspanntesten, wenn ich erstmal überlege, ob ich mit der neuen Situation auch gut leben kann, bevor ich mich für ändern oder verlassen entscheide. Als Führungskräfte sind wir jedoch bezahlt, ungute Situationen in gute zu verändern. Dazu müssen wir erst mal wissen, was wir erreichen wollen und am besten auch, weshalb – weil wir uns nur gerne und freiwillig engagieren, wenn etwas Sinn macht. Wenn wir den Fokus anschliessend auf die vorhandenen Ressourcen richten und gemeinsam über Lösungen nachdenken, werden wir die besten Optionen erkennen können und dafür sorgen, dass wir eine gute Wahl treffen. Ob wir selbst entscheiden, gemeinsam entscheiden oder den Entscheid der zuständigen Fachkraft überlassen ist eine Frage des Führungsstils.
Schritt 4: Tun
Nur Tun verändert die Realität. Gemeinsam wahrnehmen, denken, lernen und kreativ werden bringt uns nur weiter, wenn wir anschliessend das Zielführende tun oder das Hinderliche unterlassen. Wenn wir nach dem Meeting keine klaren Massnahmen definieren und klären, wer was bis wann erledigt, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn sich nichts verändert. Wer macht, hat Macht. Dieses alte Sprichwort zeigt sehr schön auf, warum Macher erfolgreicher sind als andere. Viele Menschen geben das Machen und somit ihre Macht lieber einer aus ihrer Sicht verantwortlichen Person ab, als dass sie mutig selbst zur Tat schreiten. Damit meine ich nicht in erster Linie Kompetenzüberschreitungen. Oft reicht bereits ein ehrliches und klares Feedback an die richtige Person, damit etwas in Bewegung kommt.
Damit wir unseren Fokus auch unter schwierigen Umständen halten können, brauchen wir ein hohes Bewusstsein und laufendes Training. Dies sowie moderne Führungskompetenzen, Selbstverantwortung, Haltung und Führung auf Augenhöhe sind für jede Führungskraft die Schlüssel zum Erfolg .